Sondervermögen oder doch einfach nur Schulden?
Heute war ich mal wieder etwas fauler. Ich blätterte durchs Zeit Magazin und blieb an einer Überschrift von Harald Martenstein hängen: „Was Sondervermögen und Auberginenfürze verbindet.“ Ich fing an zu lesen, aber die Motivation verließ mich schnell. Zu präsent war mir das schöne neue Lieblingswort der Politik: Sondervermögen.
Worte, die täuschen sollen
Über politisch motivierte Begriffe ließe sich vieles schreiben. Wenn es tatsächlich das Ziel wäre, klare und verständliche Sprache zu benutzen, hieße es: Schuldenfinanzierung. Klingt weniger nett, trifft aber den Nagel auf den Kopf: Es geht um Schulden. Und Schulden sind derzeit schwer in Mode. Zugegeben, Politik war schon immer gut darin, großzügig mit dem Geld anderer Leute umzugehen. Aber was wir aktuell erleben, sprengt jede Vorstellungskraft: Schulden machen, als gäbe es kein Morgen. Streichen wir also das Framingwort Sondervermögen aus unserem Vokabular. Nennen wir es, wie es ist: Schulden. Der Schuldenberg wächst – und zwar für uns alle. Der Politik sei herzlich gedankt.
Wer trägt die Verantwortung?
Meine Schuld? Deine Schuld? Unsere Schuld? Wessen Schuld ist es eigentlich? Sicher auch die der kommenden Generationen. Selbst jene, die noch irgendwo im Äther schweben, werden sich freuen, wenn sie bei ihrer Geburt schon im Schuldensumpf stecken. Denn wo Schuld ist, da sind auch Gläubiger. Die kennen wir selten persönlich, aber sie existieren. Es sind keine anonymen Institute – es sind Menschen. Menschen mit Gesichtern, mit Interessen, vielleicht sogar mit Seelen. Und sie leben nicht von Luft, Liebe oder Hoffnung. Sie fordern Rückzahlung. Über Jahrzehnte. Über Generationen hinweg. So funktioniert das System. Und das nicht erst seit gestern.
Schulden, wohin man schaut
Skrupellos werden Schulden gemacht – als gäbe es keinen moralischen Kompass mehr. Eine politische Elite beschert unseren Nachkommen Schulden in historischem Ausmaß – für Projekte, die oft keinerlei Bestand haben. Wir finanzieren Kriege. Wir leisten China immer noch Entwicklungshilfe – Irrsinn hoch zehn. Wir bauen Radwege in Peru, während in Deutschland ganze Landstriche auf DDR-Niveau unterwegs sind (ich war letztes Jahr auf Rügen, ich weiß, wovon ich rede). Statt Infrastruktur, Bildung und Sicherheit zu fördern, hinterlassen wir ein marodes Land – mit kaputten Straßen, zersetzten Schulen und einem Haufen Sondervermögen. Pardon. Schulden.
Der wahre Reichtum: Bildung
Wäre es nicht sinnvoller, unseren Nachkommen echten Reichtum zu hinterlassen? Einen, der Bestand hat? Bildung wäre solch ein Vermächtnis. Ein Bildungssystem, das diesen Namen verdient. Denn durch Bildung entstehen Sicherheit, Wohlstand, Mitmenschlichkeit – und Zukunft. Zur Bildung gehört natürlich auch die moralische Dimension: Was für Menschen wollen wir sein? Und was für eine Gesellschaft wollen wir hinterlassen? Stattdessen hinterlassen wir... Schulden.
Wenn Politik versagt – übernehmen wir
Wenn die politische Klasse nicht willens oder fähig ist, ihrer Verantwortung nachzukommen, dann übernehmen wir das eben. Die Aufgabe, aufzuklären. Zu bilden. Zu erinnern.
„Wer nichts weiß, muss alles glauben.“
– Marie von Ebner-Eschenbach (1830–1916)
Ich las diesen Satz einst am Tag einer Einschulung, auf einem Banner an einer evangelischen Kirche im Rheinland. Ich musste schmunzeln. Heute nicht mehr. Heute wirkt der Satz wie ein Weckruf.
Kant wusste es schon 1784
Immanuel Kant schrieb 1784 seinen berühmten Aufsatz: „Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?“ Darin formulierte er einen Leitsatz, der bis heute Gültigkeit hat:
„Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit.“
Unmündigkeit bedeutet laut Kant: die Unfähigkeit, sich seines eigenen Verstandes ohne Anleitung eines anderen zu bedienen. Und sie ist selbst verschuldet, wenn sie nicht aus einem Mangel an Intelligenz, sondern aus einem Mangel an Mut entsteht.
Sein Appell:
„Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!“
– oder wie er auf Latein sagt: Sapere aude!
Sprache formt Gedanken
Auch Kant spricht von Schuld. Von selbst verschuldeter Unmündigkeit. Und er spricht vom Mut, sich davon zu befreien – durch Denken, Bildung, Sprache. Denn Sprache ist Macht. Sie kann klären oder verschleiern. Wer Sprache versteht, erkennt Manipulation. Wer das Wort beherrscht, formt den Gedanken. Und wer die Sprache kontrolliert, kontrolliert irgendwann das Denken selbst.
Ein Vorschlag zum Schluss
Wenn ihr das Wort Sondervermögen hört – im Fernsehen, im Radio, in einer Rede – dann tut Folgendes: Streicht es im Kopf durch. Sagt laut, was gemeint ist: Schulden.
Denn genau in diesem Moment gilt:
Sapere aude!
S. Noir
Bonus zum Text
Link zum Lied: Nennt es beim Namen https://www.ganjingworld.com/s/o8E6GmDz9M
Link zum Lied: Nennt es beim Namen II https://www.ganjingworld.com/s/NGO0aAevZ4
English Version
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